software-literary-patents.html (15211B)
1 <!--#set var="ENGLISH_PAGE" value="/philosophy/software-literary-patents.en.html" --> 2 3 <!--#include virtual="/server/header.de.html" --> 4 <!-- Parent-Version: 1.96 --> 5 <!-- This page is derived from /server/standards/boilerplate.html --> 6 <!--#set var="TAGS" value="essays laws patents" --> 7 <!--#set var="DISABLE_TOP_ADDENDUM" value="yes" --> 8 9 <!-- This file is automatically generated by GNUnited Nations! --> 10 <title>Softwarepatente und literarische Patente - GNU-Projekt - Free Software 11 Foundation</title> 12 13 <!--#include virtual="/philosophy/po/software-literary-patents.translist" --> 14 <!--#include virtual="/server/banner.de.html" --> 15 <!--#include virtual="/philosophy/ph-breadcrumb.de.html" --> 16 <!--GNUN: OUT-OF-DATE NOTICE--> 17 <!--#include virtual="/server/top-addendum.de.html" --> 18 <div class="article reduced-width"> 19 <h2>Softwarepatente und literarische Patente</h2> 20 21 <address class="byline">von <a href="//www.stallman.org/">Richard Stallman</a></address> 22 23 <p> 24 Wenn Politiker die Frage der Softwarepatente bedenken, entscheiden sie sich 25 üblicherweise blindlings; da sie keine Programmierer sind, verstehen sie 26 nicht, was es mit Softwarepatenten wirklich auf sich hat. Oft glauben sie, 27 Patente und Urheberrechte sind ähnlich (<em>abgesehen von einigen 28 Details</em>) ‑ was nicht der Fall ist. Als ich 29 beispielsweise Patrick Devedjian, damals Frankreichs Industrieminister, 30 öffentlich fragte, wie Frankreich über die Frage der Softwarepatente 31 abstimmen würde, antwortete Devedjian mit einer leidenschaftlichen 32 Verfechtung des Urheberrechts, indem er Victor Hugo für seine Rolle bei der 33 Einführung des selbigen lobte (der irreführende Begriff <em>geistiges 34 Eigentum</em> fördert dieses Durcheinander, was einer der Gründe dafür ist, 35 warum er niemals benutzt werden sollte). 36 </p> 37 38 <p> 39 Wer sich die Auswirkungen wie die des Urheberrechts vorstellt, kann die 40 desaströsen Auswirkungen von Softwarepatenten nicht begreifen. Wir können 41 Victor Hugo als Beispiel nehmen, um die Unterschiede zu beleuchten. 42 </p> 43 44 <p> 45 Ein Roman und ein modernes komplexes Programm haben bestimmte Punkte gemein: 46 beide sind umfangreich und setzen zahlreiche Ideen in Kombination um. Folgen 47 wir also der Analogie und nehmen an, dass Patentrecht sei bereits im 48 19. Jahrhundert bei Romanen angewandt worden; nehmen wir an, dass Staaten 49 wie Frankreich die Patentierung literarischer Ideen erlaubt hätte. Welche 50 Auswirkungen hätte das auf Victor Hugos Schriften gehabt? Wie wären die 51 Auswirkungen literarischer Patente mit literarischem Urheberrecht zu 52 vergleichen? 53 </p> 54 55 <p> 56 Betrachten wir Victor Hugos Roman <cite>Les Misérables</cite>. Da er 57 ihn schrieb, gehörte ausschließlich ihm das Urheberrecht. Er musste nicht 58 befürchten, dass irgendjemand ihn wegen Verletzung des Urheberrechts 59 verklagen und gewinnen könnte. Das war unmöglich, weil Urheberrecht nur die 60 Details über ein Werk der Autorschaft umfasst, nicht die darin verkörperten 61 Ideen, und es beschränkt nur das Kopieren. Hugo hatte <cite>Les 62 Misérables</cite> nicht kopiert, also war er durch das Urheberrecht 63 nicht gefährdet. 64 </p> 65 66 <p> 67 Mit Patenten verhält es sich anders. Patente decken Ideen ab; jedes Patent 68 ist ein Monopol auf die Ausübung einer Idee, die in dem Patent selbst 69 beschrieben ist. Hier ist ein Beispiel für ein hypothetisches literarisches 70 Patent: 71 </p> 72 73 <ul> 74 <li>Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der im Bewusstsein eines Lesers 75 das Konzept eines Charakters darstellt, der lange im Gefängnis gewesen ist 76 und verbittert gegenüber Gesellschaft und Menschheit wird.</li> 77 78 <li>Patentantrag 2: ein Kommunikationsprozess im Sinne von Patentantrag 1, worin 79 besagter Charakter nachträglich moralische Wiedergutmachung durch die 80 Liebenswürdigkeit eines anderen findet.</li> 81 82 <li>Patentantrag 3: ein Kommunikationsprozess im Sinne von Patentantrag 1 und 2, 83 worin besagter Charakter seinen Namen während der Geschichte ändert.</li> 84 </ul> 85 86 <p> 87 Hätte solch ein Patent 1862, als <cite>Les Misérables</cite> 88 veröffentlicht wurde, bestanden, wäre der Roman mit allen drei 89 Patentanträgen in Konflikt geraten, da all diese Dinge Jean Valjean im Roman 90 passierten. Victor Hugo hätte verklagt werden können und hätte in diesem 91 Falle verloren. Der Roman hätte verboten werden können ‑ im 92 Endeffekt zensiert ‑ vom Patentinhaber. 93 </p> 94 95 <p> 96 Betrachten wir nun dieses hypothetische literarische Patent: 97 </p> 98 99 <ul> 100 <li>Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der im Bewusstsein eines Lesers 101 das Konzept eines Charakters darstellt, der lange im Gefängnis gewesen ist 102 und anschließend seinen Namen ändert. </li> 103 </ul> 104 105 <p> 106 <cite>Les Misérables</cite> wäre auch durch dieses Patent untersagt 107 worden, weil diese Beschreibung ebenfalls zur Lebensgeschichte von Jean 108 Valjean passt. Hier ist ein weiteres hypothetisches Patent: 109 </p> 110 111 <ul> 112 <li>Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der im Bewusstsein eines Lesers 113 das Konzept eines Charakters darstellt, der moralische Wiedergutmachung 114 findet und dann seinen Namen ändert.</li> 115 </ul> 116 117 <p> 118 Jean Valjean wäre auch durch dieses Patent verboten worden. 119 </p> 120 121 <p> 122 Alle drei Patente würden die Lebensgeschichte dieses einen Charakters 123 abdecken und verbieten. Sie überlappen, aber duplizieren einander nicht 124 genau, somit können sie alle gleichzeitig gültig sein; alle drei 125 Patentinhaber hätten Victor Hugo verklagen können. Jeder einzelne von ihnen 126 hätte die Veröffentlichung von <cite>Les Misérables</cite> verbieten 127 können. 128 </p> 129 130 <p> 131 Auch gegen dieses Patent hätte mit 132 </p> 133 134 <ul> 135 <li>Patentantrag 1: ein Kommunikationsprozess, der einen Charakter darstellt, 136 dessen Vorname mit der letzten Silbe seines Familiennamens übereinstimmt.</li> 137 </ul> 138 139 <p> 140 durch den Namen <em>Jean Valjean</em> verstoßen werden können, aber 141 zumindest wäre dieses Patent leicht zu vermeiden gewesen. 142 </p> 143 144 <p> 145 Man könnte meinen, dass diese Ideen so simpel sind, dass kein Patentamt sie 146 ausstellen würde. Wir Programmierer sind oft von der Einfachheit der Ideen 147 erstaunt, die wirkliche Softwarepatente abdecken. So hat das Europäische 148 Patentamt beispielsweise ein Patent auf die Fortschrittsleiste ausgestellt 149 und ein Patent, um die Zahlung über Kreditkarten zu akzeptieren. Diese 150 Patente wären lachhaft, wenn sie nicht so gefährlich wären. 151 </p> 152 153 <p> 154 Andere Aspekte von <cite>Les Misérables</cite> hätten ebenfalls mit 155 Patenten ins Gehege kommen können. Man hätte beispielsweise ein Patent auf 156 eine fiktionalisierte Darstellung der Schlacht von Waterloo ausstellen 157 können oder ein Patent, Pariser Slang in Literatur zu verwenden. Zwei 158 weitere Klagen. Es gibt de facto keine Grenze für die Anzahl verschiedener 159 Patente, die für das Verklagen des Autors eines Werks wie <cite>Les 160 Misérables</cite> hätten anwendbar sein können. Alle Patentinhaber 161 würden sagen, dass sie eine Belohnung für den literarischen Fortschritt 162 verdienten, den ihre patentierten Ideen darstellen, doch diese Hindernisse 163 würden den Fortschritt in der Literatur nicht fördern, sondern behindern. 164 </p> 165 166 <p> 167 Jedoch könnte ein sehr ausgedehntes Patent all diese Streitpunkte irrelevant 168 werden lassen. Stellen Sie sich ein Patent mit ausgedehnten Ansprüchen wie 169 diesen vor: 170 </p> 171 172 <ul> 173 <li>Ein Kommunikationsprozess mit strukturierter Erzählung, die sich über viele 174 Seiten fortsetzt.</li> 175 <li>Eine Erzählungsstruktur, die manchmal einer Fugue oder Improvisation ähnelt.</li> 176 <li>Artikulierte Intrigen um die Konfrontation von bestimmten Charakteren, von 177 denen jeder dem anderen wiederum Fallen stellt.</li> 178 <li>Erzählung, die viele Gesellschaftsschichten darstellt.</li> 179 <li>Erzählung, die die Machenschaften heimlicher Verschwörung aufzeigt.</li> 180 </ul> 181 182 <p> Wer wären die Patentinhaber gewesen? Es hätte sich um andere Romanautoren, 183 vielleicht Dumas oder Balzac, handeln können, die solche Romane geschrieben 184 hätten ‑ aber nicht unbedingt. Es wird nicht verlangt ein 185 Programm zu schreiben, um eine Softwareidee patentieren zu lassen. Wenn also 186 unsere hypothetischen literarischen Patente dem wirklichen Patentsystem 187 folgen, hätten diese Patentinhaber keine Romane schreiben müssen oder 188 Geschichten oder irgendetwas ‑ nur 189 Patentanmeldungen. Patentschmarotzende Firmen, Unternehmen, die nichts außer 190 Drohungen und Prozessen produzieren, haben derzeit Hochkonjunktur.</p> 191 192 <p> Angesichts dieser weitreichenden Patente wäre Victor Hugo wohl niemals in 193 den Sinn gekommen zu fragen, aufgrund welcher Patente man ihn für die 194 Verwendung eines Charakters wie Jean Valjean hätte verklagen können, weil er 195 nicht einmal daran hätte denken können, einen derartigen Roman zu schreiben.</p> 196 197 <p>Diese Analogie kann Nichtprogrammierern helfen zu erkennen, was 198 Softwarepatente wirklich anrichten. Softwarepatente umfassen Eigenschaften 199 wie das Definieren von Abkürzungen in einem Textverarbeitungsprogramm oder 200 die automatische Neuberechnung von Zellinhalten in einer 201 Tabellenkalkulation. Patente decken Algorithmen ab, die Programme verwenden 202 müssen. Patente decken Aspekte von Dateiformaten wie Microsofts OOXML-Format 203 ab. Das MPEG 2-Videoformat wird durch 39 verschiedene US-Patente abgedeckt.</p> 204 205 <p>Genauso wie ein Roman mit vielen verschiedenen literarischen Patenten auf 206 einmal in Konflikt geraten könnte, kann ein Programm durch viele Patente auf 207 einmal verboten werden. Es bedeutet eine Menge Arbeit alle Patente zu 208 identifizieren, die für ein großes Programm zu gelten scheinen, sodass nur 209 eine einzige solche Untersuchung durchgeführt wurde. Eine 2004 durchgeführte 210 Untersuchung von Linux, dem Betriebssystemkern vom GNU/Linux-Betriebssystem, 211 fand 283 verschiedene US-Softwarepatente, die es abzudecken schienen. Das 212 heißt, dass jedes dieser 283 unterschiedlichen Patente irgendeinen 213 Rechenprozess verbietet, der sich irgendwo in den Tausenden von Seiten des 214 Linux-Quellcodes befindet. Zu der Zeit machte Linux etwa ein Prozent des 215 gesamten GNU/Linux-Systems aus. Wie viele Patente mag es geben, unter denen 216 ein Distributor eines Gesamtsystems verklagt werden könnte?</p> 217 218 <p> 219 Der Weg, das Verpfuschen von Softwareentwicklung durch Softwarepatente zu 220 verhindern, ist einfach: keine Autorisierung. Das sollte einfach sein, da 221 die meisten Patentrechte Regelungen gegen Softwarepatente 222 beinhalten. Typischerweise heißt es, dass <em>Software per se</em> nicht 223 patentierbar sei. Weltweit versuchen Patentämter jedoch, die Wörter zu 224 verdrehen und Patente für in Programmen umgesetzte Ideen umzusetzen. Solange 225 das nicht gestoppt ist, wird das Ergebnis alle Softwareentwickler in Gefahr 226 bringen. 227 </p> 228 229 <div class="infobox extra" role="complementary"> 230 <hr /> 231 <p>Die englische Originalausgabe erschien am 20. Juni 2005 bei The Guardian, 232 London, unter dem Titel <cite><span xml:lang="en" lang="en">Patent 233 absurdity</span></cite>. Hauptaugenmerk war die vorgeschlagene 234 EU-Softwarepatent-Richtlinie.<a href="#tn1" id="tn1-ref" 235 class="transnote">[1]</a></p> 236 </div> 237 238 <div class="edu-note c"><p id="fsfs">Dieser Aufsatz wurde englischsprachig in <cite><a 239 href="//shop.fsf.org/product/free-software-free-society/" xml:lang="en" 240 lang="en">Free Software, Free Society: The Selected Essays of Richard 241 M. Stallman</a></cite> veröffentlicht.</p></div> 242 </div> 243 244 <div class="translators-notes"> 245 246 <!--TRANSLATORS: Use space (SPC) as msgstr if you don't have notes.--> 247 <p><strong>Anmerkungen des Übersetzungsteams:</strong></p> 248 <ol id="transnote"> 249 <li id="tn1"><a href="#tn1-ref">[1]</a> EU-Softwarepatent-Richtlinie 250 <em>über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen</em>.</li> 251 </ol></div> 252 </div> 253 254 <!-- for id="content", starts in the include above --> 255 <!--#include virtual="/server/footer.de.html" --> 256 <div id="footer" role="contentinfo"> 257 <div class="unprintable"> 258 259 <p>Bitte senden Sie allgemeine Fragen zur FSF & GNU an <a 260 href="mailto:gnu@gnu.org"><gnu@gnu.org></a>. Sie können auch die <a 261 href="/contact/"><span xml:lang="en" lang="en">Free Software 262 Foundation</span> kontaktieren</a>. Ungültige Verweise und andere 263 Korrekturen oder Vorschläge können an <a 264 href="mailto:webmasters@gnu.org"><webmasters@gnu.org></a> gesendet 265 werden.</p> 266 267 <p> 268 <!-- TRANSLATORS: Ignore the original text in this paragraph, 269 replace it with the translation of these two: 270 271 We work hard and do our best to provide accurate, good quality 272 translations. However, we are not exempt from imperfection. 273 Please send your comments and general suggestions in this regard 274 to <a href="mailto:web-translators@gnu.org"> 275 276 <web-translators@gnu.org></a>.</p> 277 278 <p>For information on coordinating and contributing translations of 279 our web pages, see <a 280 href="/server/standards/README.translations.html">Translations 281 README</a>. --> 282 Bei der Übersetzung dieses Werkes wurde mit größter Sorgfalt 283 vorgegangen. Trotzdem können Fehler nicht völlig ausgeschlossen 284 werden. Sollten Sie Fehler bemerken oder Vorschläge, Kommentare oder Fragen 285 zu diesem Dokument haben, wenden Sie sich bitte an unser Übersetzungsteam <a 286 href="mailto:web-translators@gnu.org?cc=www-de-translators@gnu.org"><web-translators@gnu.org></a>.</p> 287 <p>Weitere Informationen über die Koordinierung und Einsendung von 288 Übersetzungen unserer Internetpräsenz finden Sie in der <a 289 href="/server/standards/README.translations">LIESMICH für Übersetzungen</a>.</p> 290 </div> 291 292 <!-- Regarding copyright, in general, standalone pages (as opposed to 293 files generated as part of manuals) on the GNU web server should 294 be under CC BY-ND 4.0. Please do NOT change or remove this 295 without talking with the webmasters or licensing team first. 296 Please make sure the copyright date is consistent with the 297 document. 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